Der schreckliche rassistische Anschlag von Hanau hat auch bei uns Spuren hinterlassen. Wie können wir weiterarbeiten vor dem Hintergrund von Morden an zehn Menschen? Wie können wir unser Bestreben für eine antirassistische „Gesellschaft der Vielen“ noch weiter intensivieren? Warum bleibt der große Aufschrei aus? Das sind einige der Fragen, die wir uns derzeit stellen.
Heute (04.03.2020) findet die zentrale Trauerkundgebung in Hanau statt. Wir folgen einem Aufruf der hessischen Gewerkschaften und werden heute von 11.50h – 12.00h die Arbeit niederlegen, innehalten und um die Toten trauern. Das ist das mindeste, was wir den Ermordeten und ihren trauernden Freund*innen und Angehörigen schuldig sind.
Wir gedenken
Die neun Menschen, die ermordet wurden, sind Opfer geworden, weil der Täter sie in seinem rassistischen Weltbild als fremd wahrnahm. Zudem tötete er seine Mutter aus unbekannten Motiven. Die Opfer waren Hanauer*innen, die als Kellner*innen, in Kurierfirmen und als Kammerjäger arbeiteten oder Ausbildungen zu Maurern und Maschinenführern machten. Sie haben Namen. Wir sollten sie lernen und nie vergessen.
Ferhat Unvar
Gökhan Gültekin
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Mercedes Kierpacz
Sedat Gürbüz
Kalojan Velkov
Vili Viorel Păun
Fatih Saraçoğlu
Gabriele Rathjen
#Saytheirnames
Ferhat Unvar hatte gerade mit 22 Jahren seine Lehre zum Heizungs- und Gasinstallateur abgeschlossen und war dabei, eine eigene Firma zu gründen. Sein Großvater war mit weiteren kurdischen Familienmitgliedern 1979 aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Der Kiosk-Besitzer Kemal Koçak sagt in seiner Trauerrede: „Er war ein junger, selbstbewusster Mann. Er hatte ein Herz.“ Freunde schreiben über ihn: „Er hat hier Straßen gebaut, die Ferhats Mörder vielleicht in der Nacht gefahren ist.“ Nach Ferhats Ermordung sagte seine Mutter: „Mein Kind ist tot. Alles, was ich jetzt noch will, ist dass er und die anderen nicht umsonst gestorben sind. ... Es muss etwas getan werden.“
Gökhan Gültekin stammte aus einer kurdischen Familie. In Hanau galt er als bekannt wie ein „bunter Hund“. Sein Vater sagte, er sei „der Besonnene und Fleißige in der Familie gewesen“. Gökhan war Maurer und arbeitete nebenbei in einer der Shisha-Bars. Sein Freund Kemal sagte: „Wir nannten ihn alle Gogo. Jedes Treffen und jedes Telefonat hat er mir gesagt, möge dich Gott beschützen. Er hatte die tiefe Erkenntnis, dass das Schicksal kommt, wie es kommen muss. Der hat es nicht verdient, einfach zu gehen. Doch er ist nicht da. Aber ich vermisse ihn so sehr. Und ich weiß, dass er morgen nicht wiederkommt.“ Als Gökhan ermordet wurde, war er 37 Jahre alt und wollte sich gerade verloben.
Hamza Kurtovićs Schwester: „Der Schmerz ist grenzenlos aufgrund des Verlustes meines geliebten Bruders. Er hat ... das Leben meiner ganzen Familie mit Freude, Herzlichkeit und Liebe erfüllt ... Wenn er helfen konnte, hat er ohne Erwartung einer Gegenleistung geholfen. Ihm war wichtig, dass es uns, seinen Liebsten, gut geht. Aber auch Menschen, die er nicht kannte, waren ihm wichtig. So hat er sein erstes Azubi-Gehalt für Menschen in Not gespendet. Mein Bruder war stets gut gelaunt und hat uns auch in schweren Stunden mit seiner Heiterkeit geholfen. Fassungslos bin ich darüber, dass mein Bruder aufgrund dieses schrecklichen Verbrechens nie wieder lachend und fröhlich zu unserer Haustür hereinkommen wird.“ Hamza war erst 21 Jahre alt und hatte gerade seine Berufsausbildung abgeschlossen, als er ermordet wurde.
Said Nesar Hashemi war 22 Jahre alt und gelernter Maschinen- und Anlagenführer. Er wollte im kommenden Jahr eine Weiterbildung zum Techniker abschließen. Seine Schwester sagt über ihn: „Hanau war seine Heimat. Er hatte hier Familie und Freunde. Er war immer glücklich gewesen und war immer für Menschen da, die seine Hilfe benötigt haben.“
Mercedes Kierpacz war alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Der Kiosk-Besitzer Kemal Koçak sagt in seiner Trauerrede: „Sie hat immer ihre Meinung gesagt. Sie hat sich nie was gefallen lassen. Aber sie hatte ein Herz aus Gold. Sie lächelte immer, hörte laute Musik. Immer wenn ich kam, drehte sie die Musik leiser. Und jetzt? Ist es ganz leise.“ Ihre Freundin Jade beschreibt sie so: „Sie war sehr offen und sympathisch. Man hat sich in ihrer Nähe sofort wohlgefühlt.“ Mercedes war Romni und 35 Jahre alt. Sie wollte am Abend des 19. Februar im Kiosk etwas zu essen holen, als sie ermordet wurde.
Sedat Gürbüz war der Besitzer der Shisha-Bar Midnight, dem ersten Tatort des Anschlags. Ein guter Freund nennt ihn: „geliebten Bruder. Er hat immer gelacht, konnte keiner Fliege etwas zuleide tun“. Sedat war 30 Jahre alt, als er ermordet wurde.
Kaloyan Velkov lebte seit zwei Jahren in Deutschland. Er war Rom und Wirt der Bar La Vorte neben der Shisha-Bar Midnight. Kaloyan wollte seine Familie in Bulgarien durch seine Arbeit finanziell unterstützen. Er war 33 Jahre alt, als er ermordet wurde und hinterlässt einen siebenjährigen Sohn.
Fatih Saraçoğlu war vor drei Jahren aus Regensburg nach Hanau gezogen. Hier wollte er sich selbstständig zu machen. Ein Freund seiner Familie sagte: „Das sind ganz freundliche, zurückhaltende Menschen. Fatih hatte hier noch viele Freunde“. Fatih war 33 Jahre alt, als er in der Shisha-Bar Midnight ermordet wurde.
Vili-Viorel Păun war 22 Jahre alt. Er war Rom und kam als 16-jähriger aus Rumänien nach Deutschland. Um seine Familie zu unterstützen, hatte er seine Ausbildung zurückgestellt und als Paketzusteller gearbeitet. Seine Eltern Niculescu und Iulia sagen, er war hilfsbereit, fleißig, verantwortungsbewusst , humorvoll und ein guter Zuhörer. Vili-Viorel war ihr einziges Kind. Er starb beim Einkaufen am Kiosk.
Gabriele Rathjen war die Mutter des Täters. Ob der Täter auch sie aufgrund eines rechtsextremen Motivs umbrachte, lässt sich nicht sicher sagen – sie wurde jedoch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem rechtsextremen Anschlag in Hanau ermordet. Sie wurde 72 Jahre alt.